Freitag, 11. August 2017
über Motivation.
skywise, 17:46h
Es gibt Augenblicke, in denen sich die Frage aufdrängt, aus welchem Grund man eigentlich auf so vielen Kraterrändern seine Kapriolen aufführt. Es gibt Menschen, die bezeichnen es als „weise“, in regelmäßigen Abständen das Leben auszumisten. Nun bin ich entweder zu dumm, zu verstockt und/oder zu alt, um dieser Idee ohne Einschränkung zuzustimmen. Vielleicht hängt es auch schlicht damit zusammen, dass es manchen Mist gibt, dem ich nicht den Rücken kehren kann oder will, weil es da freundschaftliche oder gesellschaftliche (pfui bäh) Pseudo-Verpflichtungen gibt. Wie dem auch sei.
Im Augenblick bin ich relativ überzeugt davon, mein Leben mehr oder weniger im Griff zu haben. Gut, es gibt natürlich Baustellen. Viele laufen derzeit zumindest ansatzweise wie geplant. Bei einigen anderen hat sich dagegen der Vorarbeiter mit den Plänen abgeseilt. Und wieder bei anderen liegen die Pläne vor, aber die Motivation, mit der Hacke loszuziehen und die ersten Steine zu kloppen, konvergiert seit Monaten gegen Null. Wäre ja auch langweilig, wenn alles im Hochglanz erstrahlte und es nichts mehr zu tun gäbe. Und irgendwann wird bestimmt die nächste Welle kommen, in deren Verlauf die Pläne dann doch wieder genervt bis energisch hervorgezogen werden, um endlich die ganze Angelegenheit mal erledigt zu bekommen. Hacke schultern, ein Gebet zwo drei, Helm auf, den feindlichen Stein ins Visier nehmen, und dann mit einem inbrünstigen „Geronimo!“ an die Arbeit. Die Zeit wird kommen. Ich frage bei der nächsten Gelegenheit meine Glaskugel, wann das der Fall sein wird. Jedenfalls – es läuft. Hier etwas lockerer, dort etwas struppiger, und beim Rest müssen wir halt noch ein bisschen improvisieren. Passt schon.
Wenn ich allerdings Bilanz ziehe über meine Online-Aktivitäten der letzten Monate, insbesondere der privaten, schaut die Sache etwas trüber aus. Vor allem im Bereich der Kommunikation. Ich treibe mich vor bevorzugt in Foren, auf Nachrichtenseiten oder auf solchen zu speziellen Themen herum; die angeblich „sozialen Netzwerke“ sind nichts für mich. Der Facebook-Account, den ich mir vor einigen Jahren aus den völlig falschen Gründen zugelegt habe, wurde binnen 14 Tagen wieder so weit eingemottet, wie es der Laden zuließ, sprich: er dämmert untot vor sich hin, bis er irgendwann von mir aus seinem virtuellen Sarg geholt und als Handpuppe wieder ins große Kasperletheater eingebracht wird. Wird nach derzeitiger Einschätzung nicht passieren.
In den letzten zwölf Monaten ging’s aber auch in vielen Foren eher hoch her. Nicht in meinen virtuellen Stammlokalen, in denen ich zwischenzeitlich auch Moderator geworden bin - da war’s sogar eigentlich eher ruhig. Aber ein paar neuere Entwicklungen und nicht zuletzt die jüngeren Nachrichten haben unglaublich viele Kommentare provoziert. Gefühlsmäßig waren es selten durchdachte Argumentationen, stattdessen wurden verschiedene Obstsorten miteinander verglichen und ganz allgemein enorm viel Bashing betrieben. Weil ja jeder weiß, dass es keine Argumente braucht. Wenn etwas scheiße ist, ist es scheiße, basta. Und wenn jemand nachfragt, warum das denn scheiße ist, dann ist der auch scheiße und hat entsprechend behandelt zu werden. Und falls jemand versucht, ein Gegenargument anzubringen oder weiter auszuleuchten, dann ist das doch ohnehin scheiße und derjenige, der gerade für die Scheiße Partei ergreift, arbeitet entweder für die oder ist von Natur aus einer von diesen überflüssigen, realitätsfernen Gutmenschen oder halt einer, der Mütter fickt - und als solcher allein schon nicht mehr zurechnungsfähig. Mittlerweile brauchen ein Diskussionsstränge mit besagtem Tenor nicht mal mehr von der ersten Seite verschwunden zu sein, bevor der nächste Honk mit genau denselben Aussagen und exakt derselben Totschlagattitüde aufschlägt. Dass es Menschen gibt, die eine Suchfunktion nicht nutzen – geschenkt, die gab’s schon immer. Dass es inzwischen zum guten Ton gehört, andere Leute runterzuputzen, anstatt sich mal mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen – geschenkt, die Umgangsformen haben sich in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt. Nicht zum Besseren übrigens. Und Leute, die online so etwas wie Höflichkeit zur Schau stellen, sind mittlerweile fast seltener als Menschen, die mit der Funktionsweise einer Klobürste vertraut sind. Dass einige Diskutierende es augenscheinlich toll finden, sich unter verschiedenen Namen als Trolle in bestimmten Diskussionen einzubringen, teils mit hanebüchenen Beiträgen, solange sie nur eine Reaktion hervorrufen – geschenkt. Dass es Zeitgenossen gibt, die offenkundig glauben, man dürfe bei Nachrichten oder Artikeln ausschließlich das kommentieren, was man glaubt, aus der Überschrift ableiten zu können – geschenkt. In den letzten Monaten wird immer wieder über den Begriff der „alternativen Fakten“ geulkt – kann man machen, allerdings wäre es von Vorteil, wenn hin und wieder die Fakten, die einem in Foren und Diskussionen zu Nachrichten unter die Nase gerieben werden, auch mal hinterfragt würden. Damit will ich nicht auf „Lügenpresse“ hinaus, sondern darauf, dass es Diskussionsfäden gibt, in denen jemand unter Pseudonym irgendwelche Statistiken postet oder Behauptungen aufstellt, die dann von einem Großteil der Diskussionsteilnehmer goutiert werden, ohne dass eine seriöse Quelle angegeben wird oder auch nur eine oberflächliche Recherche irgendwelche Aussagen in diese Richtung bestätigt. Ich hab‘ auch einige Male erlebt, dass eben diese offenkundig aus den Fingern gezogenen Zahlen in völlig anderen Diskussionen zwecks Stimmungsmache noch einmal aufgewärmt wurden, weil – dank Google konnte man ja nun die frühere Diskussion finden und somit eine Quelle für diese Statistiken vorweisen, gelle?
Ich muss gestehen, dass ich an dieser Stelle müde geworden bin. Nicht zuletzt, seit ich in einem Forum das Gefühl hatte, selbst zur Handpuppe verkommen zu sein, nachdem jemand einen Kommentar mit einem Inhalt abgesondert hatte, den ich immer wieder zerpflückt habe – und ein anderer Forenteilnehmer diesen beiläufig mit einem Teilsatz abgewunken hat, nach dem ich mich schon darum kümmern würde. Ein guter Grund, einmal innezuhalten und den eigenen Beißreflex zu überprüfen. Außerdem gab es diese Situation, als jemand wieder öffentlich eine, in meinen Augen äußerst fragwürdige, These in Stein gemeißelt hat. Auf die Nachfrage, ob er denn Quellen zur Untermauerung seiner Angaben nennen könne, kam die sinngemäße Antwort ‚Wenn dich das interessiert, schau doch auf youtube nach, dort gibt’s genug Videos zu dem Thema. Du wirst schon was finden“. Nun, Recherchen gehören zu meinem Berufsbild, darin habe ich etwas Übung. Ich kann im Internet so ziemlich alles finden, wenn ich denn nur will und die nötigen Eckdaten kenne. Es gibt kaum eine Theorie, die so verquer ist, dass sich nicht von irgendeinem Fleischsack im Internet aufgegriffen wurde. Nur – der Umstand, dass ich was finden kann, bedeutet ja nicht automatisch, dass ein Anderer diese Aussagen verwendet hat, um seine These darauf aufzubauen. Als ich also auf die Antwort reagierte mit „Ich frage nach den Quellen, auf die du dich beziehst. ‚Geh auf youtube und such‘ dir ein Video, das zu meiner Meinung passt‘ ist keine Quelle‘“, erntete ich eine überwältigende Mehrheit gesenkter Daumen und Kommentare à la „Er hat doch gesagt, dass er sich auf ein youtube-Video bezieht“ etc. – diese niedlichen Daumen-runter machen mir wenig aus, genau genommen gar nichts, klicken geht manchmal schneller als denken und auf jeden Fall schneller als argumentieren. Aber wenn negative Kommentare meine Beiträge pflastern, muss ich mir die Frage stellen, ob ich irgendwas falsch verstanden oder ungeschickt formuliert habe - oder ob ich mich nicht vielleicht doch aus diesem elitären Kreis menschlicher Umgangsformen zurückziehen sollte. Und sei’s auch nur zum Durchatmen.
Früher habe ich geglaubt, ein wahrer Satz würde ganze Bibliotheken von Diskussionen überflüssig machen. Ich habe gelernt, dass derjenige, der sich auskennt und ein paar Fakten äußert, die nicht zum Bashing der restlichen Diskussionsteilenehmer passen, gerne von diesen zuerst nicht für voll und danach aufs Korn genommen wird. Inklusive dem Satz „Wenn dir unsere Meinung nicht passt, dann such‘ dir doch ein anderes Forum, wo du deine Meinung posten kannst“. Ich hatte in meinem vorangegangenen Beitrag aus einem Gesetzestext zitiert, keine Meinung geäußert.
Früher habe ich ganz fest daran geglaubt, dass jeder die „Was-passiert-dann-Maschine“ aus der „Sesamstraße“ versteht. Unter Erbringung einer Transfer-Leistung würden demnach – na, wenigstens die meisten im Vorfeld darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihre Vorschläge haben könnten, sofern diese in der Realität umgesetzt würden. Konsequenzen nicht nur für sich, sondern auch für das jeweilige Umfeld. Diese Meinung habe ich Stück für Stück nach unten korrigiert, bis ich zu dem Schluss gekommen bin, dass (zu) viele Menschen nichts von der „Was-passiert-dann-Maschine“ wissen – oder ihr und ihren Funktionen keinen Glauben schenken.
Früher war ich davon überzeugt, dass es eine Lektion gibt, die man absolut sicher aus der Französischen Revolution ziehen kann: es ist besser, FÜR etwas zu demonstrieren als GEGEN etwas. Die Menschen, die sich mit dir in eine Masse stellen, um ihre Stimmen GEGEN etwas zu erheben, haben bestimmt für die Zeit danach nicht alle dieselben Ideen wie du. Die Französische Revolution begann unter einem König, sie endete unter einem Kaiser – und viele derjenigen, die sich gegen den König gestellt haben, durften später ihren Kopf unter einem locker sitzenden Fallbeil positionieren. Wie viele der Gegner des Königs hatten genau dieses Szenario im Sinn, als sie ihre Fäuste gegen ihn erhoben? Die Revolutionäre haben sich nach erfolgreicher Entsorgung des Königs nebst Anhang selbst zerfleischt, weil sie sich nicht auf eine tragfähige Zukunftsperspektive einigen konnten; der lachende Dritte war dann eine Abart jener Monarchie, gegen die man erst ins Feld gezogen war. Weiß nicht jeder. Und das interpretiert auch nicht jeder so, wie ich gemerkt habe. Natürlich kann man nicht erwarten, dass jede Entscheidung von jedem begrüßt wird, aber der „Ja, soo hammer das ja auch wieder nich‘ gewollt“-Effekt nimmt meiner Meinung nach in jüngerer Zeit überhand.
Ich hatte geglaubt, dass man Lästermäuler und Querulanten wenigstens im Geiste links liegen lässt. Konstruktive Kritik und eine Diskussion mit Argumenten hatte ich wenigstens als einen guten Ansatz verstanden, um Probleme zu lokalisieren und sie aus der Welt zu schaffen. Ich habe mittlerweile eingelenkt, dass es Probleme gibt, für die keine schmerzfreien Lösungen existieren. Seit einigen Monaten erlebe ich mit, wie die unkontrolliert Schimpfenden Zulauf genießen. Ein „Die können das nicht!“ auf den Lippen, ohne Alternativlösungen oder weiterführende Erkenntnisse im Köcher – heutzutage scheinbar völlig ausreichend, um Anhänger um sich zu scharen und beeindruckende Reaktionen in Diskussionen oder sogar Ergebnisse bei Umfragen oder Wahlen zu ernten. Bislang blieb der nachfolgende Schritt, nämlich ein offenes Bekenntnis „Wir können das auch nicht!“ bedauerlicherweise aus. Ja, ist ja gut. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Ein Bekannter bezeichnete sich neulich als „seelischen Flüchtling“. Er ziehe sich gelegentlich aus Deutschland in die Schweiz zurück, weil er dort Menschen fand, mit denen er sich viel besser versteht und die seine Ansichten und Ziele teilen. Er fühle sich in seiner Heimat zumindest seelisch und moralisch nicht mehr zu Hause. Ich kann ihn und die von ihm gewählte Bezeichnung verstehen, wenn sich auch jenes Gefühl bislang (und hoffentlich bleibt’s dabei) nur auf das Internet und die Foren bezieht, die ich bislang recht häufig aufgesucht habe, um mich dort auszutauschen. Ich trete somit im Augenblick gewissermaßen eine „seelische Flucht“ an. So ganz ohne Schreiben wird’s aber auch nicht gehen, vermute ich. Katzen, Mausen und so. Also werde ich wenigstens vorübergehend ein paar Gedanken, Anekdoten, Meinungen (und was sich sonst so ergibt) in einem Blog festhalten. Diesem hier. Eine neue Herausforderung. Und vielleicht reicht’s dann irgendwann dafür, mich wieder ins Getümmel zu stürzen und mir die nächsten blutigen Nasen und blauen Flecken zu holen.
„Sonst wär‘ nichts Wesentliches mehr,
Und wenn es nicht zum Heulen wär‘,
Hätt‘ ich gern laut drüber gelacht.
Es wär‘ so leicht, zu resignier‘n
Statt nachzuseh‘n, statt zu probier‘n,
Ob da nicht doch noch Wege sind,
Wie man ein Stück Welt besser macht,
Um von den Schwätzern ausgelacht
Zu werden, als ein Narr, der spinnt.
Ob ich‘s noch mal probier‘? Na klar!
Mein guter alter Balthasar.“
(Reinhard Mey, „Mein guter alter Balthasar“
Album: Ikarus, 1976)
* * *
Diesem Beitrag lagen musikalisch zugrunde:
U2 „Cedars Of Lebanon“ (No Line On The Horizon, 2009)
The Chieftains feat. Joni Mitchell “The Magdalene Laundries” (Tears Of Stone, 1999)
Mia Aegerter “Schwarzer Fleck” (Nichts für Feiglinge, 2017)
Meat Loaf „For Crying Out Loud“ (Bat Out Of Hell, 1977)
Hot Chocolate “A Child’s Prayer” (Hot Chocolate, 1975)
Yello (nahezu komplettes Album, Toy, 2016)
Im Augenblick bin ich relativ überzeugt davon, mein Leben mehr oder weniger im Griff zu haben. Gut, es gibt natürlich Baustellen. Viele laufen derzeit zumindest ansatzweise wie geplant. Bei einigen anderen hat sich dagegen der Vorarbeiter mit den Plänen abgeseilt. Und wieder bei anderen liegen die Pläne vor, aber die Motivation, mit der Hacke loszuziehen und die ersten Steine zu kloppen, konvergiert seit Monaten gegen Null. Wäre ja auch langweilig, wenn alles im Hochglanz erstrahlte und es nichts mehr zu tun gäbe. Und irgendwann wird bestimmt die nächste Welle kommen, in deren Verlauf die Pläne dann doch wieder genervt bis energisch hervorgezogen werden, um endlich die ganze Angelegenheit mal erledigt zu bekommen. Hacke schultern, ein Gebet zwo drei, Helm auf, den feindlichen Stein ins Visier nehmen, und dann mit einem inbrünstigen „Geronimo!“ an die Arbeit. Die Zeit wird kommen. Ich frage bei der nächsten Gelegenheit meine Glaskugel, wann das der Fall sein wird. Jedenfalls – es läuft. Hier etwas lockerer, dort etwas struppiger, und beim Rest müssen wir halt noch ein bisschen improvisieren. Passt schon.
Wenn ich allerdings Bilanz ziehe über meine Online-Aktivitäten der letzten Monate, insbesondere der privaten, schaut die Sache etwas trüber aus. Vor allem im Bereich der Kommunikation. Ich treibe mich vor bevorzugt in Foren, auf Nachrichtenseiten oder auf solchen zu speziellen Themen herum; die angeblich „sozialen Netzwerke“ sind nichts für mich. Der Facebook-Account, den ich mir vor einigen Jahren aus den völlig falschen Gründen zugelegt habe, wurde binnen 14 Tagen wieder so weit eingemottet, wie es der Laden zuließ, sprich: er dämmert untot vor sich hin, bis er irgendwann von mir aus seinem virtuellen Sarg geholt und als Handpuppe wieder ins große Kasperletheater eingebracht wird. Wird nach derzeitiger Einschätzung nicht passieren.
In den letzten zwölf Monaten ging’s aber auch in vielen Foren eher hoch her. Nicht in meinen virtuellen Stammlokalen, in denen ich zwischenzeitlich auch Moderator geworden bin - da war’s sogar eigentlich eher ruhig. Aber ein paar neuere Entwicklungen und nicht zuletzt die jüngeren Nachrichten haben unglaublich viele Kommentare provoziert. Gefühlsmäßig waren es selten durchdachte Argumentationen, stattdessen wurden verschiedene Obstsorten miteinander verglichen und ganz allgemein enorm viel Bashing betrieben. Weil ja jeder weiß, dass es keine Argumente braucht. Wenn etwas scheiße ist, ist es scheiße, basta. Und wenn jemand nachfragt, warum das denn scheiße ist, dann ist der auch scheiße und hat entsprechend behandelt zu werden. Und falls jemand versucht, ein Gegenargument anzubringen oder weiter auszuleuchten, dann ist das doch ohnehin scheiße und derjenige, der gerade für die Scheiße Partei ergreift, arbeitet entweder für die oder ist von Natur aus einer von diesen überflüssigen, realitätsfernen Gutmenschen oder halt einer, der Mütter fickt - und als solcher allein schon nicht mehr zurechnungsfähig. Mittlerweile brauchen ein Diskussionsstränge mit besagtem Tenor nicht mal mehr von der ersten Seite verschwunden zu sein, bevor der nächste Honk mit genau denselben Aussagen und exakt derselben Totschlagattitüde aufschlägt. Dass es Menschen gibt, die eine Suchfunktion nicht nutzen – geschenkt, die gab’s schon immer. Dass es inzwischen zum guten Ton gehört, andere Leute runterzuputzen, anstatt sich mal mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen – geschenkt, die Umgangsformen haben sich in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt. Nicht zum Besseren übrigens. Und Leute, die online so etwas wie Höflichkeit zur Schau stellen, sind mittlerweile fast seltener als Menschen, die mit der Funktionsweise einer Klobürste vertraut sind. Dass einige Diskutierende es augenscheinlich toll finden, sich unter verschiedenen Namen als Trolle in bestimmten Diskussionen einzubringen, teils mit hanebüchenen Beiträgen, solange sie nur eine Reaktion hervorrufen – geschenkt. Dass es Zeitgenossen gibt, die offenkundig glauben, man dürfe bei Nachrichten oder Artikeln ausschließlich das kommentieren, was man glaubt, aus der Überschrift ableiten zu können – geschenkt. In den letzten Monaten wird immer wieder über den Begriff der „alternativen Fakten“ geulkt – kann man machen, allerdings wäre es von Vorteil, wenn hin und wieder die Fakten, die einem in Foren und Diskussionen zu Nachrichten unter die Nase gerieben werden, auch mal hinterfragt würden. Damit will ich nicht auf „Lügenpresse“ hinaus, sondern darauf, dass es Diskussionsfäden gibt, in denen jemand unter Pseudonym irgendwelche Statistiken postet oder Behauptungen aufstellt, die dann von einem Großteil der Diskussionsteilnehmer goutiert werden, ohne dass eine seriöse Quelle angegeben wird oder auch nur eine oberflächliche Recherche irgendwelche Aussagen in diese Richtung bestätigt. Ich hab‘ auch einige Male erlebt, dass eben diese offenkundig aus den Fingern gezogenen Zahlen in völlig anderen Diskussionen zwecks Stimmungsmache noch einmal aufgewärmt wurden, weil – dank Google konnte man ja nun die frühere Diskussion finden und somit eine Quelle für diese Statistiken vorweisen, gelle?
Ich muss gestehen, dass ich an dieser Stelle müde geworden bin. Nicht zuletzt, seit ich in einem Forum das Gefühl hatte, selbst zur Handpuppe verkommen zu sein, nachdem jemand einen Kommentar mit einem Inhalt abgesondert hatte, den ich immer wieder zerpflückt habe – und ein anderer Forenteilnehmer diesen beiläufig mit einem Teilsatz abgewunken hat, nach dem ich mich schon darum kümmern würde. Ein guter Grund, einmal innezuhalten und den eigenen Beißreflex zu überprüfen. Außerdem gab es diese Situation, als jemand wieder öffentlich eine, in meinen Augen äußerst fragwürdige, These in Stein gemeißelt hat. Auf die Nachfrage, ob er denn Quellen zur Untermauerung seiner Angaben nennen könne, kam die sinngemäße Antwort ‚Wenn dich das interessiert, schau doch auf youtube nach, dort gibt’s genug Videos zu dem Thema. Du wirst schon was finden“. Nun, Recherchen gehören zu meinem Berufsbild, darin habe ich etwas Übung. Ich kann im Internet so ziemlich alles finden, wenn ich denn nur will und die nötigen Eckdaten kenne. Es gibt kaum eine Theorie, die so verquer ist, dass sich nicht von irgendeinem Fleischsack im Internet aufgegriffen wurde. Nur – der Umstand, dass ich was finden kann, bedeutet ja nicht automatisch, dass ein Anderer diese Aussagen verwendet hat, um seine These darauf aufzubauen. Als ich also auf die Antwort reagierte mit „Ich frage nach den Quellen, auf die du dich beziehst. ‚Geh auf youtube und such‘ dir ein Video, das zu meiner Meinung passt‘ ist keine Quelle‘“, erntete ich eine überwältigende Mehrheit gesenkter Daumen und Kommentare à la „Er hat doch gesagt, dass er sich auf ein youtube-Video bezieht“ etc. – diese niedlichen Daumen-runter machen mir wenig aus, genau genommen gar nichts, klicken geht manchmal schneller als denken und auf jeden Fall schneller als argumentieren. Aber wenn negative Kommentare meine Beiträge pflastern, muss ich mir die Frage stellen, ob ich irgendwas falsch verstanden oder ungeschickt formuliert habe - oder ob ich mich nicht vielleicht doch aus diesem elitären Kreis menschlicher Umgangsformen zurückziehen sollte. Und sei’s auch nur zum Durchatmen.
Früher habe ich geglaubt, ein wahrer Satz würde ganze Bibliotheken von Diskussionen überflüssig machen. Ich habe gelernt, dass derjenige, der sich auskennt und ein paar Fakten äußert, die nicht zum Bashing der restlichen Diskussionsteilenehmer passen, gerne von diesen zuerst nicht für voll und danach aufs Korn genommen wird. Inklusive dem Satz „Wenn dir unsere Meinung nicht passt, dann such‘ dir doch ein anderes Forum, wo du deine Meinung posten kannst“. Ich hatte in meinem vorangegangenen Beitrag aus einem Gesetzestext zitiert, keine Meinung geäußert.
Früher habe ich ganz fest daran geglaubt, dass jeder die „Was-passiert-dann-Maschine“ aus der „Sesamstraße“ versteht. Unter Erbringung einer Transfer-Leistung würden demnach – na, wenigstens die meisten im Vorfeld darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihre Vorschläge haben könnten, sofern diese in der Realität umgesetzt würden. Konsequenzen nicht nur für sich, sondern auch für das jeweilige Umfeld. Diese Meinung habe ich Stück für Stück nach unten korrigiert, bis ich zu dem Schluss gekommen bin, dass (zu) viele Menschen nichts von der „Was-passiert-dann-Maschine“ wissen – oder ihr und ihren Funktionen keinen Glauben schenken.
Früher war ich davon überzeugt, dass es eine Lektion gibt, die man absolut sicher aus der Französischen Revolution ziehen kann: es ist besser, FÜR etwas zu demonstrieren als GEGEN etwas. Die Menschen, die sich mit dir in eine Masse stellen, um ihre Stimmen GEGEN etwas zu erheben, haben bestimmt für die Zeit danach nicht alle dieselben Ideen wie du. Die Französische Revolution begann unter einem König, sie endete unter einem Kaiser – und viele derjenigen, die sich gegen den König gestellt haben, durften später ihren Kopf unter einem locker sitzenden Fallbeil positionieren. Wie viele der Gegner des Königs hatten genau dieses Szenario im Sinn, als sie ihre Fäuste gegen ihn erhoben? Die Revolutionäre haben sich nach erfolgreicher Entsorgung des Königs nebst Anhang selbst zerfleischt, weil sie sich nicht auf eine tragfähige Zukunftsperspektive einigen konnten; der lachende Dritte war dann eine Abart jener Monarchie, gegen die man erst ins Feld gezogen war. Weiß nicht jeder. Und das interpretiert auch nicht jeder so, wie ich gemerkt habe. Natürlich kann man nicht erwarten, dass jede Entscheidung von jedem begrüßt wird, aber der „Ja, soo hammer das ja auch wieder nich‘ gewollt“-Effekt nimmt meiner Meinung nach in jüngerer Zeit überhand.
Ich hatte geglaubt, dass man Lästermäuler und Querulanten wenigstens im Geiste links liegen lässt. Konstruktive Kritik und eine Diskussion mit Argumenten hatte ich wenigstens als einen guten Ansatz verstanden, um Probleme zu lokalisieren und sie aus der Welt zu schaffen. Ich habe mittlerweile eingelenkt, dass es Probleme gibt, für die keine schmerzfreien Lösungen existieren. Seit einigen Monaten erlebe ich mit, wie die unkontrolliert Schimpfenden Zulauf genießen. Ein „Die können das nicht!“ auf den Lippen, ohne Alternativlösungen oder weiterführende Erkenntnisse im Köcher – heutzutage scheinbar völlig ausreichend, um Anhänger um sich zu scharen und beeindruckende Reaktionen in Diskussionen oder sogar Ergebnisse bei Umfragen oder Wahlen zu ernten. Bislang blieb der nachfolgende Schritt, nämlich ein offenes Bekenntnis „Wir können das auch nicht!“ bedauerlicherweise aus. Ja, ist ja gut. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Ein Bekannter bezeichnete sich neulich als „seelischen Flüchtling“. Er ziehe sich gelegentlich aus Deutschland in die Schweiz zurück, weil er dort Menschen fand, mit denen er sich viel besser versteht und die seine Ansichten und Ziele teilen. Er fühle sich in seiner Heimat zumindest seelisch und moralisch nicht mehr zu Hause. Ich kann ihn und die von ihm gewählte Bezeichnung verstehen, wenn sich auch jenes Gefühl bislang (und hoffentlich bleibt’s dabei) nur auf das Internet und die Foren bezieht, die ich bislang recht häufig aufgesucht habe, um mich dort auszutauschen. Ich trete somit im Augenblick gewissermaßen eine „seelische Flucht“ an. So ganz ohne Schreiben wird’s aber auch nicht gehen, vermute ich. Katzen, Mausen und so. Also werde ich wenigstens vorübergehend ein paar Gedanken, Anekdoten, Meinungen (und was sich sonst so ergibt) in einem Blog festhalten. Diesem hier. Eine neue Herausforderung. Und vielleicht reicht’s dann irgendwann dafür, mich wieder ins Getümmel zu stürzen und mir die nächsten blutigen Nasen und blauen Flecken zu holen.
„Sonst wär‘ nichts Wesentliches mehr,
Und wenn es nicht zum Heulen wär‘,
Hätt‘ ich gern laut drüber gelacht.
Es wär‘ so leicht, zu resignier‘n
Statt nachzuseh‘n, statt zu probier‘n,
Ob da nicht doch noch Wege sind,
Wie man ein Stück Welt besser macht,
Um von den Schwätzern ausgelacht
Zu werden, als ein Narr, der spinnt.
Ob ich‘s noch mal probier‘? Na klar!
Mein guter alter Balthasar.“
(Reinhard Mey, „Mein guter alter Balthasar“
Album: Ikarus, 1976)
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Diesem Beitrag lagen musikalisch zugrunde:
U2 „Cedars Of Lebanon“ (No Line On The Horizon, 2009)
The Chieftains feat. Joni Mitchell “The Magdalene Laundries” (Tears Of Stone, 1999)
Mia Aegerter “Schwarzer Fleck” (Nichts für Feiglinge, 2017)
Meat Loaf „For Crying Out Loud“ (Bat Out Of Hell, 1977)
Hot Chocolate “A Child’s Prayer” (Hot Chocolate, 1975)
Yello (nahezu komplettes Album, Toy, 2016)
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